3.4.2007

Presse
Presse-Info

2. April 2007


Rechtsstreit AntifaschistInnen ./. Stadt Pforzheim wegen Verwaltungsgebühren für Demonstrationen

Für angemeldete Demonstrationen gegen Neonazi-Aufmärsche hatte die Stadt Pforzheim im Februar und Juli 2005 Gebühren in Höhe von 150, 100 bzw. 20 Euro erhoben. AntifaschistInnen hatten dagegen beim Verwaltungsgericht in Karlsruhe geklagt und wurden von der Pforzheimer "Initiative Gegen Gebühren für Grundrechte" (IGGG) unterstützt mit der Forderung "Das Grundrecht auf Versammlungsfreiheit darf keine Frage des Geldbeutels sein!".

Die Klagen waren erfolgreich. Das Gericht entschied am 29. März 2007 in allen drei Fällen, dass die Gebührenfestsetzung aufzuheben ist. Eine Revision gegen das Urteil ist zugelassen.

Einer der Vorreiter der Tendenz zur Einschränkung des Demonstrationsrechts ist die Stadt Pforzheim. Sie erhebt als einzige in Baden-Württemberg seit Jahren grundsätzlich von AnmelderInnen von Kundgebungen und Demonstrationen Verwaltungsgebühren für die jeweils erteilten Auflagen.

Verhandelt wurden drei exemplarische Fälle. Viele inzwischen eingelegte Widersprüche gegen die Gebühren ruhen bis zum Abschluss des Rechtsstreits. Dem Urteil kommt eine positive Signalwirkung zu.

Zu den drei Fällen

Eine Gebühr von 150 Euro zu den Auflagen für eine Gegendemonstration am 23.02.2005 gegen die neonazistische Fackelmahnwache auf dem Wartberg anlässlich der alliierten Bombardierung Pforzheims und von 100 Euro zu einer geschichtlichen Gedenkkundgebung an der ehemaligen "Adolf-Hitler-Schule", heute Nordstadtschule, an welcher an die Vergangenheit erinnert werden sollte, wurde verfügt.

Im zweiten Fall wurde per Auflage durch Verlegung der Demonstrationsroute der angemeldete Bezug zunichte gemacht und obendrein eine Gebühr dafür verlangt - eine in doppeltem Sinne gegen den antifaschistischen Gründungskonsens der Verfassungsväter gerichtete politische Einflussnahme der Stadt Pforzheim.

Der dritte Fall betraf eine antifaschistische Demonstration im Juli 2005, für deren Auflagen 20 Euro Gebühr verlangt wurden.

Zur Position der Stadt Pforzheim

Der Rechtsvertreter der Stadt verglich Verwaltungsleistungen im Zusammenhang mit der Ausübung des Grundrechts auf Versammlungsfreiheit nach Art. 8 GG mit Baugenehmigungen. Der Verwaltungsrechtsrat sprach von der Verpflichtung der Stadt zu einer "präventiven Eingangskontrolle" bei angemeldeten Demonstrationen.

Zur verfassungsrechtlichen Argumentation der Rechtsanwältin der Kläger gegen die Gebührenerhebung meinte er, dass "der Art. 8 GG keine Gebührenfreiheit gebiete" und diese Frage "nicht mit grundrechtlichen Metaphern überwölbt werden sollte". Die Demonstration des rechtsextremistischen "Freundeskreises 'Ein Herz für Deutschland' Pforzheim e.V." sei genauso zu behandeln wie eine antifaschistische Demonstration.

Zur Zweckbestimmung bei den vorliegenden Auflagen sagte er, dass durch Trennung der rechten und linken Demonstrationen dafür zu sorgen sei, dass wir "keine Weimarer Verhältnisse bekommen".

Unsere Bewertung

Wenn die Stadt Pforzheim Auflagen für Demonstrationen auf eine Stufe mit baurechtlichen Genehmigungsauflagen stellt, beweist sie einen grundlegenden Mangel an Verständnis für demokratische Freiheitsrechte und hat offenbar nicht begriffen, dass Demonstrationen und Kundgebungen lediglich einer Anmeldung, nicht aber einer Genehmigung bedürfen.

Von diesem gegen die Verfassung gerichteten Geist der Stadt Pforzheim ist ihre gesamte Argumentation im Rechtsstreit beseelt. Hier wird mit der seit Jahrzehnten praktizierten Extremismus-Lüge (Linksextremisten gleich Rechtsextremisten) vergessen gemacht, dass nach Art. 139 GG die zur Befreiung des deutschen Volkes vom Nationalsozialismus und Militarismus erlassenen Rechtsvorschriften fortgelten. Der Grundsatz "Faschismus ist keine Meinung, sondern ein Verbrechen" gilt auch heute noch.

Die behördliche Praxis gemäß Extremismus- Lüge hat sich inzwischen zum staatlichen Schutz für Nazi-Aufmärsche entwickelt, obwohl solche Organisationen wie die NPD und die "freien Kameradschaften" aufgelöst und verboten gehören.

In diesem Schema erscheinen gegen Nazis gerichtete Demonstrationen als lästig. Die Weimarer Demokratie wurde von Rechts zerstört, durch die Weltmachtansprüche der deutschen Großindustrie und der Banken und durch die von ihnen an die Macht gebrachten Hitlerfaschisten.

Der Weg dafür wurde geebnet durch Abbau sozialer und demokratischer Rechte. Mitverantwortlich für den Untergang von Weimar sind Verwaltungsleute auf allen Ebenen, die die Faschisten gewähren ließen.

Eben jene, die heute vorgeben, den erneuten Untergang der Demokratie verhindern zu wollen, befördern ihn, indem sie die Demokratie wehrlos gegen Rechts machen, indem sie die Verteidiger von Demokratie, Sozialstaat und Antifaschismus in die linke Ecke abschieben und mit politisch motivierten Auflagen und Gebühren behindern.

Die Pforzheimer Gebührenpraxis muss zu Fall gebracht werden.

Silvia Schulze
VVN-BdA Karlsruhe
Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes - Bund der Antifaschisten
© Antifaschistisches Aktionsbündnis Karlsruhe